Kritische Kritik der CD „Gesänge der Neuen Weltordnung“ der GoH (Gesellschaft ohne Hoffnung)
Vom „apokalyptischen Tabledance“ handelt das Eröffnungs- und Titelstück zur gleichnamigen CD, das mit beeindruckenden
Jazzakkorden daherkommt. „Da hinten geht’s besser rein, so wollen wir alle sein“, so die Kernzeile des zweiten Stücks mit dem Titel >Christus<, obwohl es nicht um Jesus, sondern um seine sexgeilen Anhänger geht. Ein
plumper Song, der allein durch die bemüht ernste Singmanier á la Heino ein Schmunzeln wecken kann. Einflüsse der Kassierer lassen sich nun nicht mehr leugnen. Die dreifache Einleitung vollendet (Jazz, Pimmel-Punk und Noise-Pop), kommt nun ein musikalisch untermaltes Monolog-Hörspiel, welches erst am Ende mit Robbys einfühlsamem Gesang zur großen Beuys-Brecht-Aufräume aufläuft: „Mir macht es Spaß, arbeiten zu gehen. Ich habe Gleitzeit und Gleitcreme… Samstag vormittags Einkaufen gehen.“ Es herrscht Military-Techno, Military-Techno über alles, *wumm wumm wumm* geht’s mit der GoH in den Stummfilm >Der Moloch< und zurück in die Gosse der heutigen Zeit. Studenten machen Musik… (Haben aber recht.). Stoiber fordert: „Wir müssen uns auf unsere Wurzeln besinnen!“ Diesem Paradigma folgt Robby von der GoH und legt ein schauriges Bela-Lugosi-Hymnus auf, daß er sogar diesmal deutlich beim (über sich selbst) Lachen zu hören ist. „Ach hör auf, mach den Scheiß aus!“ – ruft er das dem Tontechniker oder dem Hörer zu? Wir werden nicht in das tiefere Geheimnis dieses pianoesken Glenn-Danzig-Melodrams namens >Satan - Döner-Gyros-Sushi-Mix< eingeweiht. >Hardware-Beschleuniger< ist eine Art Discoversion von >Satan - Döner-Gyros-Sushi-Mix< und handelt vom Dazugehören und spannt somit schon den Bogen zum 14. Stück (>Aufmerksamkeit<): „Wir alle gehören dazu!“ Der >MV-Rap< steht vielleicht für >Mist-Version< oder >Musik vergessen< oder Matsch-Versuch<. Es ist eine brutale Absage an die Techno-Musik und minimalisiert in Form auf einen Akkord, im Text auf Analsprache und adoleszent-kulturale Laute. Anfangs: Wieder bringt die Mrs. Piggy zum lachen, sie klingt diesmal wie Willy von der Biene Maya. Doch in diese unschuldigen Assoziationen mischt sich blankes Grauen, wenn man dem hämmernden Techno-Hi-Hat länger zuhört. Wer es hierher, zum 8. Stück geschafft hat, hat mehr geleistet als der Läufer von Marathon, deshalb soll der Hörer auch weiter hören. >Secret Song< ist eine bodenständige Nummer zwischen Beatles und Cure mit Britpop-Balladen-Atmosphäre. Merke: Auch wenn man nicht Mundharmonika spielen kann, macht sie das lockere Reinpusten gut bei Balladen. Würde dieses Stück die CD eröffnen, würden vielleicht nicht so viele drogenabhängige Hippies zum Kauf schreiten, und die liquiden 13-jährigen könnten als Käufer gewonnen werden. Aber so ist sie, die GoH: Gezielt daneben. Wenn man doch mal trifft, ist auch nicht schlimm. Mit >Secret Song> zeigt der Autor Rollánd (unbestätigte Vermutung), daß er ein großer Songschreiber ist. Einfühlsames Gitarren-Gefudel gleichen nicht nur die Harp aus, sondern machen diesen vorläufigen Höhepunkt der Gesänge der Neuen Weltordnung zu einer klasse Beischlafnummer (verifizierte Vermutung). Der GEZ-Song ist vermutlich der CD „Computertechno – schnell und einfach zu ersten Ergebnissen am Heim-PC“ entnommen. Er ist das, was man dem freundlichen Mann im Popeline-Mantel, der mal wieder versucht, die Gebühren einzutreiben, am liebsten 24 Stunden auf die Ohren blasen würde: Kraaaaaaaaaaaaaaaaaaaaach! Nr. 10 ist eine Ami-Verarschung auf Radio gemacht, in der selbst in dem harmlosen Wort „Yeah“ ein amerikanisches „arrrrrr“ Platz findet. Viele „all right!“s bringen richtiges Whopper- und Burger-Feeling. Progress in red and white and blue. Eine fast musikalische Annäherung an die Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Mit >The Killing Glimpse< hat es Rollánd wieder geschafft, eine Ashes-and-Lies-Shuttle-Dog-Nummer auf einem GoH-Album unterzubringen. Wer will es ihm übel nehmen? Seine Stimme ist einfach toll! Überhaupt: >Secret Song< und >The Killing Glimpse< passen hier nicht her und wieder doch. Diese Songs sind Ruhepole im sonstigen künstlerischen Weltenlärm. Oasen der Erholung. Die selbstkritische Antwort auf den sonstigen Krach. Hommagen an „early times“ finden Platz: Mike Rock haucht sein „Mysterium Cosmographicum“ mit tiefer Stimme als ungewollter Gaststar. Wie The Cure die back up vocals in just the right plase. Und schon kommen >Frühstückspop< und erst recht <Gesellschaftstanz< mit mächtigem Robby-Krach, Keyboards, 1000 böse Keyboards nötigen Marilyn Manson dazu, geknebelt und verprügelt, nur noch mit dem Mülltonnendeckel gegen die Hinterhofswand zu scheppern. Blut. Böse. Sockengestank. Sex. Apokalypse á la Robby, diesmal richtig gut „getroffen“. Stück 14 >Aufmerksamkeit< bringt die GoH-Botschaft auf den Punkt: Reduziere, bis alles klar zu sehen ist. Unbedingt reinhören! >We have to accept<, >Torn< und >Christ for peace< spannen den postmodernen Bogen zu >Sikkens (Early Demo 1993)<, das die brutale, kafkaeske Spannung der drei vorgenannten aufnimmt, jedoch nicht stören, verhätscheln oder schmeicheln will. >Postmaterialismus (Sender Freies Berlin)< zeigt: Die Russen sind weg, und doch da. Wir vermissen sie irgendwie. Die „Gesänge der Neuen Weltordnung“ schenken ordentlich ein, die Tasse läuft mehrmals über. Und der Hörer weiß: Hier läuft etwas Großartiges.
Mike Rock, 26.11.2003 (http://www.myspace.com/zitronerock)
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